Allein mir fehlt der Glaube – warum ich bei Jamaika noch zweifle

17. Juni 2017

Unser Land hat kompliziert gewählt. Wir Grüne sind für eine Politik wiedergewählt worden, für die wir plötzlich keine Koalitionspartner mehr hatten. Anders als in NRW haben aber auch CDU und FDP kein Mandat dafür bekommen die Politik der Küsten Koalition abzuwickeln.
Wir Grüne haben in einer schwierigen politischen Lage unsere Komfortzone verlassen und Verantwortung gezeigt. Während andere parteiintern Wunden geleckt haben oder durch öffentliche Machtspiele verdeutlicht haben, dass es für Sie nicht darum geht unsere Gesellschaft zu gestalten. Die letzten Wochen waren hart. CDU und FDP haben in weiten Teilen ganz andere politische Vorstellungen als wir Grüne. Während wir der Meinung sind, dass längeres gemeinsames Lernen Aufstiegschancen schafft, setzen CDU und FDP auf frühestmögliche Trennung der Schüler*innen nach Leistung. Während wir Grüne wissen, dass unsere Wirtschaft auch durch gesetzliche Regulierung sozialer und ökologischer werden muss, setzen CDU und FDP auf freie Märkte.
Der von uns verhandelte Koalitionsvertrag beinhaltet sehr viel Grünes Herzblut und einige schmerzliche Kompromisse. Es ist übertrieben, so wie es einige Journalisten tun, von einem Grünen Durchmarsch im Koalitionsvertrag zu sprechen. Auch wenn sehr viele Grüne Inhalte von uns in den Vertrag verhandelt wurden und wir uns im Vergleich der Grünen Koalitionsverträge nicht verstecken müssen. Gemessen an unseren 12,9% haben wir extrem viel erreicht. Ein Jamaika Bündnis wäre eine Übergangsregierung in einer politisch komplizierten Zeit.
Der Koalitionsvertrag ist ein Arbeitsvertrag für 2-3 Jahre und kein Entwurf für gesellschaftliche Richtungsentscheidungen wie den Klimawandel oder die Spaltung unserer Gesellschaft.
Wir Grüne haben auf unserem Parteitag vor wenigen Wochen beschlossen in Koalitionsverhandlungen einzusteigen um Grüne Inhalte zu verhandeln und auszuloten, ob genug Vertrauen für 5 gemeinsame Regierungsjahre entstehen kann oder eben nicht.
Die medialen Debatten können kein vollständiges Bild von den letzten Wochen geben. Als Teil der vom Landesparteitag gewählten Verhandlungsgruppe, möchte ich meine Gedanken zu den Koalitionsverhandlungen und der potenziellen Zusammenarbeit mit euch teilen.
Für mich sind folgende Punkte entscheidend:
Liberale Gesellschaftspolitik
Auf der Plus Seite steht für mich das Bekenntnis für eine liberale Gesellschaftspolitik. Der Koalitionsvertrag ist eine Kampfansage an eine Law and Order Sicherheitspolitik, die glaubt mit Massenüberwachung und Freiheitseinschränkung Fortschritte zu erzielen. Wir sprechen uns klar gegen Massenüberwachung aus, wollen ein Modellprojekt zur Legalisierung von Cannabis und die Grammzahl für die geringe Menge zum Eigenkonsum bei Cannabis anheben. Wir wollen die Ehe für Alle öffnen, Anti Diskriminierungsprojekte stärker fördern und Initiativen zur Stärkung der Rechte von Trans- und Intermenschen starten. Vielen konservativen und sozialdemokratischen Law and Order Politiker*innen dürften die Nackenhaare hochgehen. Ein klarer Pluspunkt, auf den wir Stolz sein können.
Bildungspolitisches auf der Stelle treten
Uns eint, dass wir Kitas, Schulen und Hochschulen mehr Ressourcen geben wollen. Mehr Geld für Kita Qualität, unsere Hochschulen und mehr Lehrer*innenstellen. Das ist gut so und war lange nicht selbstverständlich. Die Verhandlungen in der Bildungsgruppe waren in vielen inhaltlichen Fragen steinig. Gymnasien vs. Gemeinschaftsschulen, Noten oder nicht, abschlussbezogene Klassen und verbindliche Schreibschrift – CDU und FDP führen ideologische Debatten der Vergangenheit und zementieren Teile davon im Koalitionsvertrag. Auch wenn die Kompromisse in Einzelfragen keine komplette Katastrophe sind, Fortschritt ist es nicht.
Fortschritte in der Asylpolitik und zwei große Schritte zurück
In der Asylpolitik haben wir viel erreicht. Kürzere Aufenthaltszeit in den Erstaufnahmen, mehr Sprachkurse für unterschiedliche Geflüchtete, ausreichend Schulplätze für geflohene Kinder, unabhängige Asylverfahrensberatung, Initiativen zu schnellerer Familienzusammenführung und ein humanitäres Aufnahmeprogramm für 500 besonders schutzbedürftige Geflüchtete. Im Rahmen der Möglichkeiten, die uns der Bund rechtlich gibt, haben wir Grüne für viele Geflüchtete in unserem Land konkrete Verbesserungen erkämpft.
Sorge bereitet mir die Abschiebepolitik.
Das Land hat aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen keine Möglichkeiten einen langfristigen Abschiebestopp für Afghanistan zu verhängen. Ganz unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnisse im Land. Der Bund ist am Zug. Es ist ein großer Erfolg, dass im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dass Humanität als Grundsatz vor Rückführung gesetzt wird. Dass zukünftig für alle Krisenregionen nicht mehr abstrakt agierende Ausländerbehörden entscheiden, sondern der Innenminister des Landes entscheidet, ist ein Fortschritt.
Minister tragen politische Verantwortung, Ausländerbehörden nicht. Mir fehlt aber der Glaube, dass ein CDU geführtes Innenministerium dem öffentlichen Druck Stand hält, falls wieder mehr Menschen nach Deutschland kommen und rechtspopulistische Parteien die CDU unter Druck setzen. Selbst für Grüne ist es in einigen Ländern schwer bedingungslos gegen rassistische Meinungsmache für Menschenrechte zu kämpfen. Wird ein CDU Innenminister sich positiv von seinen sozial- und christdemokratischen KollegInnen in anderen Ländern und dem Bund unterscheiden?
Mir fehlt der Glaube.
Wir Grüne sollten in diesen Konflikten nicht weichen und an der Seite von Refugee Initiativen gegen Abschiebungen kämpfen. Auf der Straße und im Parlament. Auf Demonstrationen und am Verhandlungstisch. Zur Not auch gegen die eigenen Koalitionspartner.Unsere Partner*innen in der Abschiebepolitik sind die Kirchen, Refugee Initiativen und viele Flüchtlingshelfer*innen. Sie müssen sich auch weiter auf uns verlassen können. Eine gemeinsame norddeutsche Abschiebehaft ist ein falsches Signal. Auch wenn jetzt bereits aus Schleswig-Holstein Menschen in Abschiebehaft in anderen Bundesländern gebracht werden und die Entscheidung vor allem Symbolcharakter hat, eine aktive Unterstützung dieser inhumanen Politik ist kaum tragbar. Die Abschiebepolitik wäre die Achillessehne einer zukünftigen Jamaika Koalition.
Gelingt die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie? Wo bleibt das Soziale in der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik?
Eine der Leitziele im Koalitionsvertrag ist Ökonomie und Ökologie miteinander zu versöhnen. Aber wie kann das gelingen?
Stipendien für junge Existenzgründer*innen, mehr Förderung für sozial ökologisch Ideen, den Ausbau von Gründer*innenstrukturen an den Hochschulen, mehr soziale Absicherung für Selbstständige und die Förderung von öffentlichen Kreativzentren und Fablabs in allen Regionen des Landes – auch in der Wirtschaftspolitik ist es gelungen viele Grüne Inhalte zu verankern. Innovative Ideen zu fördern ist für einen nachhaltigen Wirtschaftsstandort entscheidend und ein Grüner Erfolg in den Koalitionsverhandlungen.
Trotzdem. Ein FDP Wirtschafts- und Verkehrsminister wird, befeuert von der CDU, alte Strukturen fördern und an einem zukunftsfeindlichen Wachstumsgedanken festhalten. CDU Lokalfürsten werden auf die Ausweisung von Gewerbegebieten in der Fläche setzen. Flächenfraß statt sinnvolle gemeinsame Entwicklung. Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie wird so nicht gelingen.
Auch wenn es uns gelungen ist den wichtigen Vergabemindestlohn zu retten, droht mit einem FDP Wirtschaftsminister der Abbau von ökologischen und sozialen Standards. Wir werden in einer Jamaika Koalition harte Abwehrkämpfe gemeinsam mit den Gewerkschaften und Umwelt Aktivist*innen gegen CDU und FDP führen müssen. Das Wirtschaftskapitel atmet den Geist der Beton- und Wachstumspolitik der 60er Jahre.
Es ist ein großer Erfolg, dass unsere erfolgreiche Umwelt- und Landwirtschaftspolitik fortgesetzt werden kann und CDU und FDP keine Rückabwicklung unserer Reformen durchsetzen konnte. Es bleibt abzuwarten wie Konflikte gegen die Bauernverbandslobby in der CDU Fraktion und gegen das FDP geführte Wirtschaftsministerium in konstruktive gemeinsame Politik konkret ausgestaltet werden kann.
Die Verteidigung des Status Quo ist in einer Jamaika Koalition ein Erfolg. Angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen wird es kaum ausreichen.
Durchregieren statt beteiligen?
Viele Menschen befürchten, dass der Regierungswechsel zu einer Einschränkung von Mitbestimmungsrechten und weniger Dialog führen wird. Es ist uns gelungen in vielen Politikbereichen Mitbestimmung und Beteiligung durchzusetzen. Jetzt kommt es auf den Praxistest an. Vorallem muss Daniel Günther als zukünftiger Ministerpräsident beweisen, dass er nicht in die traurige Tradition vieler CDU geführten Regierung zurückfällt, die Mitbestimmung und Beteiligung als lästiges Bürokratiehemnis empfinden.
Die Vertrauensfrage
Unser Landesparteitag hat zur Aufnahme der Koalitionsverhandlungen beschlossen auszuloten, ob eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit CDU und FDP möglich ist oder nicht. Die Erfahrung aus den letzten Jahren in der Küsten Koalition zeigt, dass Vertrauen eine mindestens so wichtige Grundlage ist, wie tragfähige inhaltliche Kompromisse. Viele der landespolitischen Herausforderungen für die kommenden Jahre entstehen im Laufe der Wahlperiode, nicht zu allen Fragen werden wir im Koalitionsvertrag Antworten finden.
2012 war für uns beispielsweise nicht absehbar, welch enorme Bedeutung die Asylpolitik für unser Land bekommen würde. Ohne ein gemeinsames Verständnis für eine humanitäre Politik zwischen uns, der SPD und dem SSW, wäre unser Land nicht so gut durch die vergangene Wahlperiode gekommen.
An vielen Stellen im Vertrag sind Prüfaufträge oder die Erstellung von Konzepten durch die Landesregierung geschrieben worden. Die Parteien delegieren sehr viele Entscheidungen in die Zukunft und an die Ministerien.
Mein Vertrauen die konkrete Ausgestaltung der Bildungspolitik in die Hände einer CDU Ministerin zu legen, die in Hamburg die Grüne Schulreform bis aufs Messer bekämpft hat, ist begrenzt. Mein Vertrauen eine soziale Arbeitsmarktpolitik in die Hände von einem FDP Minister zu legen, der bei allen zentralen Fragen auf Deregulierung setzt, ist begrenzt. Mein Vertrauen eine Abschiebepolitik von einem CDU Minister verantworten zu lassen, dessen Partei im Landtagswahlkampf massiv Menschenrechte mit den Füßen getreten hat und von Abschiebe TV geschwafelt hat, ist begrenzt.
Während den Koalitionsverhandlungen sind interne Papiere an die Öffentlichkeit durchgestochen worden, FDP Politiker haben uns lauthals Täuschung vorgeworfen und auch in vielen Arbeitsgruppen war die Stimmung extrem angespannt.
Vertrauen in 5 gute und gemeinsame Regierungsjahre habe ich nicht.
Jamaika droht ein Arbeitsbündnis für 2-3 Jahre zu werden. Die eigentliche Herausforderung wird kommen, wenn der Koalitionsvertrag abgearbeitet ist.
Meine Skepsis bleibt.