Offener Brief zur Mitarbeiterkapitalbeteiligung

21. April 2021

Bundesminister der Finanzen
Bundesministerium der Finanzen, Dienstsitz Berlin
11016 Berlin

Sehr geehrter Herr Bundesminister Scholz,

durch Klimawandel und Digitalisierung steht Deutschland in den nächsten Jahren vor enormen Umbrüchen. Nicht nur sozialstaatlich, sondern auch unternehmerisch. Vor uns liegen Chancen und Potentiale. Doch zukünftiger Wohlstand ist kein Selbstläufer — erst recht nicht in einem Land wie Deutschland, dem zweitältesten der Welt. Um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu sichern, braucht es enorme Investitionen in Bildung und Forschung sowie eine schnelle und zugängliche Förderungen für Gründer:innen.

Wir sind überzeugt, dass die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit in der Hand von Start-Ups und jungen Unternehmen liegt. Sie finden neue Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und setzen die Industrien von gestern unter Innovationsdruck.

Im Europäischen Parlament haben wir uns deshalb explizit dafür eingesetzt, Neugründungen und junge KMUs speziell zu fördern. Durch Programme wie New Horizon und Digital Europe, die Regional- und Strukturfonds und andere Maßnahmen.

Doch wenn nationale Regierungen ein Klima schaffen, dass das die Entwicklung von StartUps im Keim erstickt, können auch Milliarden aus Brüssel wenig bewirken.

Ein solches Klima, drohen Sie, Herr Bundesminister Scholz, mit ihrem aktuellen Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Mitarbeiterbeteiligung in Startups (ESOP) leider zu schaffen.

Der wichtigste Erfolgsfaktor eines Start-Ups sind dessen Mitarbeiter:innen. Wenn die Mitarbeiter:innen stärker am Kapital und damit der Wertschöpfung profitieren, dann ist ihr Anreiz das Unternehmen zum Erfolg zu führen sehr viel größer als durch Einkommen. Gerade die Beschäftigung bei Start-Ups geht oft Hand in Hand mit niedrigen Löhnen und Unsicherheit. Die Möglichkeit für Gründer und Gründerinnen diese Risikopräferenz mit einem angemessenen Anteil am zukünftigem Erfolg des Unternehmens zu belohnen ist ein Treiber für den Erfolg des Unternehmens.

Die weltweit erfolgreichen Unternehmen unserer Zeit sind sich dessen wohl bewusst. Die Liste von Unternehmen mit Mitarbeiterbeteiligung ist lang: Microsoft, Facebook, Google, Shopify, Salesforce.

Die schlechte Regulierung von Mitarbeiterkapitalbeteiligungen gehört zu den größten bürokratischen Missständen in Deutschland. In der Studie „Rewarding Talent“ von Index Ventures landet Deutschland im Europäischen Vergleich auf dem 21 Platz von 22 untersuchten Ländern. Nur Belgien schneidet noch schlechter ab. Diese schlechte staatliche Regulierung übersetzt sich in eine sehr geringe Anzahl an Start-Ups, welche ihre Mitarbeiter:innen am Kapital beteiligen, da es sich schlicht nicht für die Mitarbeiter:innen lohnt.

Es ist zu begrüßen, dass Sie, Herr Bundesminister Scholz, diesen Missstand zu beseitigen suchen. Leider ist ihr neuer Gesetzesentwurf jedoch in keinster Weise geeignet, das Problem wirksam zu lösen. Zwar gehen die kürzlich beschlossenen Verbesserungen in die richtige Richtung, aber die größeren Probleme bleiben bestehen.

So sieht die Neuregelung etwa eine de-facto Beschränkung auf echte GmbH-Anteile vor. Dies jedoch zielt vollends an den Realitäten der allermeisten Start-Ups vorbei, für die diese Form gesellschaftsrechtlich so gut wie nicht in Frage kommt. Was es stattdessen bräuchte wäre ein Einbezug von virtuellen Optionen wie VSOPs.

Weiterhin wird die generelle steuerliche Diskriminierung von Mitarbeiteranteilen gegenüber Gründeranteilen überhaupt nicht angegangen. Beim Verlassen des Unternehmens wäre für eine Mitarbeiterin die volle Steuerlast für ihre Anteile fällig. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch unrealistisch — das Start-Up müsste Liquidität für das Ausbezahlen der Anteile vorhalten. Und das gälte für alle Mitarbeiter:innen, welche Anteile besitzen.

Aus vielen persönlichen Gesprächen wissen wir, dass viele Gründer:innen in Deutschland ihre Mitarbeiter:innen gut und gern am wirtschaftlichen Erfolg ihrer Unternehmung beteiligen möchten. Ihr Gesetzesvorschlag zielt jedoch leider derart an den wirtschaftlichen Realitäten vieler Start-Ups vorbei. So wird Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland weiter ein Wunschtraum bleiben.

Der Staat sollte junge Gründer*innen unterstützen, anstatt ihnen Steine in den Weg zu legen. Wir brauchen neue rechtliche Rahmenbedingungen für Start-Ups und Sozialunternehmen — und mitunter auch neue Rechtsformen für Neugründungen.

Bisher ist der deutsche Staat offensichtlich nicht in der Lage mit der Zeit zu gehen. Wenn dies so bleibt wird Deutschland weltweit zurückfallen, anstatt das enorme unternehmerische Potential zu heben, das inmitten unserer Gesellschaft schlummert.

Wir fordern Sie daher auf Ihren Gesetzesentwurf grundlegend zu überarbeiten und ihn an den Bedürfnissen von Gründer:innen auszurichten. Die neuen steuerlichen Regelungen müssen dringend auf andere Anteilsformen als GmbH-Anteile ausgeweitet werden. Auch müssen faire und flexible Lösungen geschaffen werden, für den Fall dass eine Mitarbeiterin das Unternehmen verlässt.

Mit Europäischen Grüßen,
Niklas Nienaß, MdEP
Damian Boeselager, MdEP
Rasmus Andresen, MdEP